Es wird nass auf der Bühne von Haus Eins: Gespräch mit dem Regen von Stijn Devillé zeigt, wie Trauer und Verlust in Zeiten von Web 2.0 gehen kann. Wieso man ruhig mal an Karlsson vom Dach glauben darf. Und wieso Sterben nicht gleich der Tod der Hoffnung sein musss.
Null. Eine Zahl, eine Linie rund um Leere. Eine Leere wie jene, die der Unfalltod ihrer 14-jährigen Tochter Hanna in Adam (Tom Van Bauwel) und Nikki (Sara Vertongen) zurücklässt. Das Ehepaar versucht einen Neustart in Singapur,wo sie als CEO einer Nanotechnologie-Firma arbeitet und er als schreibblockierter Autor durch den Monsun streift – und sich beinahe selbst verlieren, denn für Eltern, deren Kind gestorben ist, gibt es kein Wort. Schweigen ist aber auch nicht die richtige Medizin, wie das Ehepaar langsam erkennt. Türmt es sich anfangs bei den morgendlichen Abschieden, wenn Nikki zur Arbeit geht, zwischen ihnen wie eine Mauer, arbeiten sie Schritt für Schritt daran, sie einzureißen, sich mitzuteilen und zuzuhören. Sich trotz Selbstvorwürfen und Streits nicht unterkriegen zu lassen.
Leere herrscht auch in der Wohnung: Tochter Hanna im würfelförmigen braunen Holzkästchen ist neben der plastikverpackten Matratze das einzige Möbel. Eine fünfteilige Glasfassade trennt den Wohnraum von den Wolkenbrüchen, die im Monsun an der Tagesordnung und für das Stück Quintessenz sind: Aus den therapeutischen Monologen Adams werden zunehmend Dialoge, denn der Regen antwortet. Nicht nur mit Hannas Stimme; der extra entwickelte „rain printer“ zeichnet Wörter in die Tropfenfront. So wie Adam mit weicher und doch hoffnungsstarker Stimme Bilder in die Köpfe des Publikums malt, Visionen von Superbäumen mit Solarblättern aufblühen lässt, während er auf den Spuren seiner physikbegeisterten Tochter wandelt und herausfindet, dass Sicherheiten in der Quantentheorie durch Wahrscheinlichkeiten ersetzt werden. Der gerade richtig dicke Mann in seinen besten Jahren könnte nicht besser verkörpert werden als von Van Bauwel. Ebenso Vertongen: Sie braucht beim Applaus sichtlich Zeit, um sich wieder zu lösen von der sterilen, aber verletzlichen Businessfrau, die ihre Handcreme so akribisch aufträgt wie Desinfektionsmittel und nur mit kontrollierbaren Situationen umgehen kann. Die verdrängen will und doch jeden Tag die Nachrichten checkt, die immer noch regelmäßig an Hannas Facebook-Profil geschickt werden. Verstärkt wird die Intimität noch durch die zutiefst authentische Alltagssprache mit all ihrem Stocken und Fadenverlieren. Und die Livemusik: Gerrit Valckenaers und Geert Waegeman fassen die Stimmung u.a. mit Klangschalen, Geige, Bass-Sax und Synthesizer so treffend in Töne, dass nicht nur einmal Gänsehaut aufkommt.
Das Stück ist keine leichte Kost. Es führt das Publikum durch Abgründe menschlicher Trauer, schonungsloser, selbstzerfleischender Offenheit sowie Höhenflüge der Erinnerung und gegenseitiger Stärkung. Trotz des schmerzvollen Themas schafft Devillé eine Atmosphäre von Zuversicht, einen Silberstreif, der auch ohne Katechismusfunktioniert. Dafür mit ein bisschen Glauben an das Unwahrscheinliche. Zum Beispiel Karlsson vom Dach.
Lena Rucker