Nature is healing

„Delphine in Triest“: In einem satirischen Fleckerlteppich an Kurzepisoden werden im Theater am Lend Themen wie die Coronakrise, Konsumgesellschaft und Rassismus verarbeitet.

Über die Leinwand wird der nächste Teil des Abendprogramms eingeblendet: Kurzszene nach Kurzszene, alle je unter ein Thema, ein Genre gesetzt, verschmelzen ineinander wie die Worte, die erst am Ende kohärent zu werden scheinen. „Vor dem Schirm sind wir alle gleich, vor dem Rettungsschirm nicht.“ Der Text von Effe U Knust führt einen vom Schicksal des Einzelnen zur ganzen Welt und wieder zurück. Wie das 5$-Shirt, das nach 30.000 zurückgelegten Kilometern als Baumwolle aus Virginia just wieder dort verkauft wird. Oder wenn die Angst vor dem Ende des Klopapiers zwischen dem „soundsovielten Quarantänetag“ verschwimmt, während die Delphine nach Venedig zurückkehren. Mal humorvoll, mal ernster, aber immer gesellschaftskritisch führen Clara Diemling, Naemi Latzer und Anna Morawetz (diesmal übersprochen von Regisseurin Anja M. Wohlfahrt) durch das dadaistische Labyrinth von popkulturellen Referenzen, Plattitüden und Sprichwörtern. Mit der musikalischen Begleitung von Patrick Dunst und Grilli Pollheimer formen sie auf der Bühne ein Konglomerat an Figuren und Konzepten, spielen sich die Worte zu bis sie zu einem harmonischen Gleichklang werden. Morawetz konnte sich trotz ihrer fehlenden Stimme durch Gestik und Mimik neben ihren Kolleginnen behaupten, sodass die spontane Änderung, fast als humorvoller Kniff verstanden werden konnte. Tanzend und fesselnd nahmen alle drei die Bühne mit ihrer Präsenz ein und ließen doch den zwei am Rande platzierten Musikern genug Raum für ihre Darbietung. Mit aufgeklebten Rückenflossen schwimmen sie durch ein blaues Lichtermeer, „Sie wissen was ich meine.“ Wenn die Lettern einer Schreibmaschine einen anprangern oder die Schauspielerinnen einen mit festem Blick mit der traurigen Ironie des Lebens konfrontieren, formt sich schmunzelnd eine Sorgenfalte mehr im Gesicht. „Ich hatte mir die Apokalypse immer anders vorgestellt.“  Zitat Ende.

Von Yasmin Al-Yazdi

FINSTERGEWÄCHS- DAS VERSTEHEN EINES FIEBERTRAUMS

Träume. Die Ebene, das unzählige Male erforscht wurde und sich dennoch immer wieder dem
vollständigen Verständnis entzieht. Aber es dreht sich nicht nur um diese Ebene, sondern auch ihre
Bühne: die Finsternis. Es ist der Ort, an dem alle Grenzen aufgehoben sind, wo die Verworrenheit an
oberster Stelle steht. Doch sollten wir uns vor dem Unbekannten fürchten oder lernen, es zu
erforschen?
Mit dieser Denkweise wechseln das Objekttheaterkollektiv Spitzwegerich und Natascha Gangl in
ihrem neusten Projekt „Finstergewächs“ vom Fassbaren ins Abstrakte. Voller provokativer Auslöser
fokussiert sich das Stück nur auf eines: ein einzigartiges und faszinierendes Erlebnis. Von Fragen, die
Paranoia hervorrufen, surrealer Verwendung von Schädeln und Augäpfeln bis hin zu
bewusstseinsverändernden Klanglandschaften bietet das Stück die Möglichkeit, sich den Klängen,
den Gedanken und Visualisierungen zu stellen, die unsere Urangst vor Finsternis und dem
verbundenen Kontrollverlust in Frage stellen.
Diese faszinierende Dias durch Irrationalität werden von Natascha Gangl, Birgit Kellner, Maja Osojnik
und Manfred Engelmayr gekonnt angeleitet, während sie sich mit dem von ihnen dargestellten
Fiebertraum verwandeln. Insbesondere sind es Kellners Illustrationen und Osojniks Stimme, die beim
Publikum Verwirrung und Unruhe hervorrufen und ihre Sinne auf die Probe stellen.
Dies wird noch verstärkt durch das Bühnen- und Lichtdesign, durch das Christian Schlechter und Felix
Huber die Performer mit der Bühne verschmelzen lassen, was ihnen die Freiheit gibt, nahezu
alterslos zu sein. Der beengte Raum und die große Menge an Requisiten, die auf der Bühne zu sehen
sind, verengen den Fokus des Publikums und wecken ein interessantes, aber nachvollziehbares
Unbehagen. Diese üppigen visuellen Elemente machen das Stück unvergesslich, allerdings auf Kosten
einer intimeren Erforschung des gewählten Themas, die die hörbaren Elemente alleine erreicht
hätten.
Das Stück reicht tief in das Unerwartete und hinterfragt eine Verbindung zwischen der Vergangenheit
eines Tages und der unbekannten Zukunft eines anderen, während die Bühne langsam wieder in die
Finsternis übergeht, wo eine andere Verbindung neu beginnen kann. Obwohl bestimmte Elemente
davon selbst verborgen sein sollten, bietet das Stück dennoch ein unvergessliches Abenteuer durch
die Verbündeten des menschlichen Geistes, wenn es mit etwas Unbekanntem konfrontiert wird.

Milan Vidovic

(c) Wolfgang Rappel

SCHIRM- EINE FLUCHT AUS DER REALITÄT

Ein Wesen, das nach Leben sucht. Ein Chor, der ein Gebet singt. Eine
abgenutzte Routine, die zu schmerzhaft ist, um sich zu ändern. Ist da
genug Platz unter diesen Schirmen oder brauchen wir neue? Was braucht
man, um sie zu finden?
Dies sind nur einige der Bilder, die der Dichter Fatah Farzam in seinem
neusten Theaterstück „Schirm“ verdeutlicht und thematisiert. Der Untertitel
„Eine performative Installation mit Lyrik“ scheint dem Stück durchaus
angemessen, da er auf die Kraft und interpretatorische Freiheit hinweist,
die sich aus der Kombination mehrerer Künste und ihrer gegenseitigen
Ergänzung ergibt. In der Tat ist dies ein ziemlich notwendiger Ansatz, wenn
man die komplexen Emotionen berücksichtigt, die jemandem durch den
Kopf gehen können, wenn sie eine ähnliche Erfahrung durchmachen, wie
die, die in diesem Stück dargestellt wird. Es ist die private, verborgene
Qual, die nicht jeder auf die gleiche Weise erlebt hat, aber in jedem Leben
einmal erlebt werden muss.
In diesem Fall ist es die fesselnde Darbietung von Xianghui Zeng, die es
dem Zuschauer ermöglicht, die volle Tiefe der sorgfältig ausgewählten
Zeilen aus Farzams Gedichten zu erleben. Seine Choreographie bringt das
Spektrum der Emotionen heraus, die mit Flucht, Isolation, Bedrohung
verbunden sind, alle zentrale Themen in Farzams Dichtung.
Sein explosiver, aber aufrichtiger Tanz wird hervorragend durch das
Raumdesign und die Requisitenauswahl von Anthoula Bourna ergänzt, die
bei der visuellen Darstellung von Farzams Gedichten helfen und einen
zusätzlichen Hauch von Trauer hinzufügen.
Obwohl die Regieentscheidungen in diesem Stück am Ende unklar bleiben,
muss erwähnt werden, dass Sophia Barthelmes Inszenierung ein Maß an
Bodenständigkeit und Flair hinzufügt, das es dem Publikum ermöglicht, sich
enger mit dem Thema des Stücks und seinem einzigen Darsteller zu
verbinden.
„Schirm“ ist eine bewegende Erforschung der Schirme des inneren Aufruhrs
und des Schreckens und ermöglicht es den Zuschauern, einen Blick in die
Probleme und das Leben seines Autors zu werfen, während es ihn
gleichzeitig einlädt, ihre eigenen zu erkunden, da jeder einmal im Regen
gefangen war und nicht wusste, wohin man als nächstes gehen sollte.

Milan Vidovic

(c) Wolfgang Rappel

Hoffnung auf Eskalation

Die ölgetriebene Apokalypse steht vor der Tür. Die Zeit ist knapp. Positive Veränderung nicht in Sicht. Und doch findet das Medium der Bühne einen Weg zur unterhaltsamen Eskalation.

Zwei Frauen wollen die Welt retten. Schluss mit der Luftverschmutzung, der kapitalistischen Gier und dem Klimawandel. Der Ölhahn muss zugedreht werden, bevor es zu spät ist und die Welt endgültig in ihrem Wandel verbrennt. Dies ist das Ziel. Der Schlüssel die Adria-Wien-Pipeline.

„was zündet, was brennt“ ist nicht nur ein Stück zur Aufklärung der Erderwärmung, sondern eine Aufforderung, die dem Gewissen mächtig einheizt. Doch was nach abgekauter Predigt klingt, ist vielmehr eine Komposition aus Fakten, Moral und Humor, die weder ermüdend noch langweilig ist.

Die Inszenierung von Marie Bues schafft es trotz der schwer verdaulichen Thematik, den Blick an die Szenerie zu binden. Die alufolienüberzogene Bühne, in Bildschirmkastenform (Pia Maria Mackert), die künstlerischen Videoclips (Grigory Shklyar) und bange, aber auch erheiternde Musik (Johannes Frick) strahlen alleinstehend schon eine starke Spannung aus.

Bühne und Technik schmieden ein simples, aber einprägsames Bild, das mit einer großartigen Darbietung des futuristischen Darstellerquartetts verschmelzt. Sei es Lisa Birke Balzers und Katrija Lehmanns in Sarkasmus getunkte Ernsthaftigkeit, Nico Links fesselnde Stimme oder Lukas Walchers charmante Darstellung eines Plastik-Dinos, dem die Luft ausgeht. Ein Ensemble, das einerseits hemmungslos Chips in sich reinschaufelt, anderseits durch lichtprojiziertes Öl langsam erstickt. Eine hervorvorragende Dynamik.

In einem geschickten Zusammenspiel aller Zutaten wird dem Publikum eine Realität serviert, die aktueller nicht sein könnte. Unbedachte Verschwendung von Ressourcen, steigende Spritpreise und das vorhandene Wissen über die Probleme, aber der Mangel zur eigenen Initiative. „was zündet, was brennt“ will nicht zum Nachdenken auffordern, sondern zum Handeln. Denn eine Eskalation ist unaufhaltsam, aber ihr Auslöser und Verlauf noch kontrollierbar.

Magdalena Schrefels Stück bringt das Thema schonungslos auf den Punkt, aber lässt den Zuschauer nicht voller Zweifel nach Hause gehen, sondern mit Antworten, die im Kopf bleiben und dem Antrieb der Hoffnung. Ein wichtiger Theaterabend für jeden Einzelnen.

Lisa Fuchs

Wie beschreibt man am besten dieses Gefühl?

In dem Stück „piece for drumset and powerpoint” nimmt Max Smirzitz die Zuschauenden mit auf eine Reise durch seine eigenen Gedanken. Er lässt sie das Gesprochene lesen und das Gespielte hören und stellt die Frage wie man am besten Gefühle ausdrücken kann, die vielschichtiger sind, als eine einfache Emotion. Damit beschert er den Zuschauer:innen ein intensives Erlebnis, welches durch Musik, Schlagzeug und die visuellen Eindrücke einer PowerPoint-Präsentation vermittelt wird.  

Noch bevor das Stück anfängt, werden allen Zuschauenden bei der Ticketkontrolle Oropax mit auf den Weg gegeben. Den Rat, diese zu nutzen, zu befolgen ist klug. Denn die Vorstellung wird laut. Zum Teil wird sie auch grell, aber vor allem laut. Zunächst jedoch kommt man in einen Raum, der hauptsächlich durch eine riesige Projektion des Titels durch einen Beamer auf weißen Hintergrund erleuchtet wird. Es ist nicht vorgesehen, dass man auf Stühlen sitzt, sondern am Boden. Alternativ kann man sich auch gleich hinlegen, um so dieses Stück zu erfahren. Die Präsentation ist komplett in schwarz-weiß gehalten und zeigt einen Text, den der Künstler selbst im Ich-Erzähler Stil geschrieben hat. Sie erhält ihre Dynamik vom Tempo des Schlagzeugs und mal wird dem Text Zeit gelassen, Silbe für Silbe auf der Leinwand einzutrudeln bis die komplette Bildfläche voll ist, mal aber rauschen die Worte auch einzeln mit einer so hohen Geschwindigkeit vorüber, dass man sich kaum sicher sein kann, was man gerade gelesen hat. Man sollte sicher sein in der englischen Sprache, um bei diesem Tempo mitlesen zu können und wird dadurch dann mit sprunghaften Gedanken konfrontiert. Es wirkt als hätte der Künstler auf der Suche nach einer adäquaten Beschreibung eines komplexen Gefühls alles aufgeschrieben was ihm in den Kopf gegangen ist, ganz ohne Filter. Das macht das Mitlesen zum Teil etwas anstrengend und streckenweise überfordernd. Aber dadurch wird es auch unmöglich gemacht sich dem Stück zu entziehen. Für die Gedanken auf der Präsentation, wird sich in Form von Gesprochenen Audio-Aufnahmen und Zitaten, aber auch immer wieder Input geholt. Begleitet wird dies vom Künstler am Schlagzeug, wobei die Beats zum Teil perfekt mit dem Erscheinen der Silben übereinstimmen, oder aber eine Dissonanz erzeugen. Dann scheint es nicht so als würde das Schlagzeug die Präsentation halten, sondern als würde es mit ihr kommunizieren. Man wird in diesem Stück eingeladen und begleitet in den Kopf des Künstlers, dessen Gedanken manchmal rasen und manchmal still stehen, auf der Suche nach der perfekten ausdruckweise für Gefühl, dass sich durch Worte nicht recht beschreiben, sich aber durch die Musik fühlen lässt. Es bleibt zwar individuell ob und in welcher Musik man sich selbst wiederfindet, aber sich auf diese intensive und intime Suche des Künstlers einzulassen ist ohnehin eine bereichernde Erfahrung.

Aiga Alrun Adler

(c) Wolfgang Rappel

Schonungsloser Weltschmerz und ein Funken Hoffnung

Utopie oder bald Realität – die deutschsprachige Erstaufführung von Hirschfell (Hertenleer) im Theater am Lend (Regie: Sandra Schüddekopf) zeichnet das unter die Haut gehende Bild einer postapokalyptischen Welt. Mehr als nur ein Monolog.

Ein modriger Waldgeruch durchflutet den Saal, passend zu den Holzspänen und Baumstümpfen auf der Bühne, ein feuchter Dampf liegt in der Luft. Was dem Publikum hier dargeboten wird, ist Weltschmerz mit allen Sinnen. Rot aufflackerndes Licht, durch das Publikum wandernde Geräusche und Umgestaltungen im Bühnenbild sind genau aufeinander abgestimmt, wenn Nataya Sam als einzige Schauspielende verschiedene durch globale Erwärmung verursachte Zukunftsszenarien für ihr ungeborenes Kind entwirft. So spricht sie in ihren Bauch hinein und gleichzeitig zum Publikum in der Du-Form: vom nackten Überleben im Wald, dessen matschiger Boden kein Leben mehr birgt, von Fluchterfahrungen an hohen Mauern, und auch von einer Schifffahrt zu einer lebenswerteren Welt. Unklar bleibt, welches der beklemmend realistisch dargestellten Szenarien eintreten wird. Hier kämpft das schwangere Ich für eine Zukunft, in der es sich für ihr Kind noch zu leben lohnt.

Nataya Sam erweckt den ohnehin schon bildreichen Text von Anna Carlier (aus dem Niederländischen von Christine Bais) durch bemerkenswertes Schauspiel zum Leben. Ihre künstlerische Darbietung umfasst weit mehr als nur das Vortragen des Monologs – es werden Rückwärtsrollen gemacht, Holzscheite gehackt und Wände besprüht; alles souverän inmitten des Textes, der in- oder außerhalb eines schlichten Glaskastens gesprochen wird. Sams Bewegungen weisen ein Spektrum von elegant und tänzerisch, bis hin zu fast wutentbrannt auf und schmiegen sich immer an den gerade präsenten Inhalt sowie ihren mimischen Ausdruck.

Was im wunderbaren Zusammenspiel von Licht (Nina Ortner), Sound (Rupert Derschmidt) und szenischer Ausstattung (Lisa Horvath) als utopische Zukunftsvision auf die Bühne gebracht wird, behandelt das omnipräsente Thema Klimakrise sowie daraus entstehende Migration. Berührend dargestellt wird eine geballte Ladung an schaurigen Bildern, aber auch ein Funken liebevoller Hoffnung einer Mutter für ihr ungeborenes Kind. Alles wird gut werden, Sweetheart. Ob das Publikum diesem Funken nach all den Katastrophenszenarien noch viel Bedeutung beimisst, sei dahingestellt. Mit Sicherheit kann man aber von einer auf allen Ebenen gelungenen Aufführung sprechen.

Lena Gruber

(c) Wolfgang Rappel

Eine Frau in deinem Alter…

Die Sichtbarkeit und die alternde Frau: Penelope Skinners „Linda“ in Graz

Es gibt kaum Frauenmonologe bei Shakespeare. Das stellt Bridget fest; das zeigt ein Blick in die Klassiker. Und wo Raum ist für junge Frauen, da bleibt keiner für alternde, da werden diese unsichtbar gemacht. Das Stück „Linda“ möchte das ändern, die Figur Linda (Beatrix Doderer) möchte das auch, aber ohne Shakespeare-Kritik. 

Sie ist stolz darauf, attraktiv zu sein und erfolgreich, als Mutter und Marketingmanagerin für Kosmetika. 

Sie möchte die Welt verbessern, indem die Werbung Frauen ermutigt, sich nicht unsichtbar machen zu lassen. 

Sie selbst ist davon aber ohnehin nicht bedroht.

Das ändert sich, als ihr Mann (Franz Solar) mit einer Jüngeren (Natalja Joselewitsch) schläft, ihre Kampagne vom Chef (Franz Xaver Zach) abgelehnt wird und die junge Kollegin Amy (Sarah Sophie Meyer) übernimmt. Die Sicherheit bröckelt.

Linda bleibt nicht in einem Rollentyp gefangen, weder der netten Alten noch der Hexe, sie erregt Mitgefühl und darf wütend machen, wenn sie die psychischen Probleme ihrer älteren Tochter Alice (Daria von Loewenich) klein redet und Bridget (Iman Tekele), die jüngere, quasi ignoriert. Beiden erklärt sie nur, wie „hübsch“ sie sind. Und klammert sich fest an ihrer eigenen Erzählung vom perfekten Leben.Dabei spricht sie in einem ihrer Vorträge selbst vom „Körperimage-Faschismus“ der ihre Töchter bedrohe — und der sie selbst zu bedrohen scheint, wenn sie geradezu wahnhaft ihre Figur beschreibt.

Dass die Frauen sich in ihren Sorgen nicht gegenseitig unterstützen sondern aneinander vorbei- oder gegeneinander anreden, ist die bittere Ironie der Handlung; gemeinsam könnten sie leicht die wenig bedrohlichen Männerfiguren übertrumpfen. So aber wird keine davor geschützt, angreifbar zu sein, als Frau, als sexuell aktive Frau, als Frau mit Träumen. 

Das Ensemble spielt auf durchwegs sehr hohem Niveau, neben Doderer gerade auch die Töchter. Sie alle schaffen das auch, wenn im Text ein Klischee das andere jagt. Die betrogene Frau putzt und sortiert Kleider, der Frust-Sex als junger Mitarbeiter Luke (Lukas Walcher) steht bereit und der Ehemann will Rocker werden. Doch die Lacher können nicht verdecken, wie tiefgreifend das Thema ist. Das sind die stärksten Momente des Abends: wenn die Figuren aus sich selbst und der Text aus der Komödienform ausbrechen, präzise und berührend von Dominique Schnizer inszeniert. Alle Frauen verzweifeln irgendwann an ihrer Situation, Lindas zweiter Vortrag ist besonders beklemmend. Dank jener Szenen bleibt das unschöne Wissen: so ist es oft. So darf es nicht bleiben.

Die weiße Drehbühne (Christin Treunert) in 7 Räumen bildet dabei die ganze Lebenswelt Lindas ab, während die „Stoned Rollings“ musikalisch untermalen (Joselewitsch, Garry Landschbauer, Bernhard Neumaier). Am Ende hat es keine der Frauen geschafft, sich wirklich zu entwickeln, auszubrechen, etwas zu verbessern. Statt der Komödie des Abends bleibt die Tragödie der echten Welt. 

Bettina Bolliger 

Dramatiker|innenfestival 2022

Das sechste internationale Dramatiker|innenfestival Graz stellt die Frage, was wir in unserer Welt im Moment vorfinden. Was ist mit unserem Umgang mit dem Klima? Mit den Migrationsbewegungen? Mit der Rolle der Frauen? Und wer erzählt von all dem? Theater geht den Mechanismen hinter dem, was ist, nach. Wer ist dabei, wenn die wichtigen Entscheidungen getroffen werden und wem bleiben die Türen verschlossen? Dramatische Literatur kann hörbar, sichtbar und erlebbar machen, was politisch gerne ignoriert oder gesellschaftlich marginalisiert wird: Theaterfiguren stehen im Rampenlicht, verkörpern die Welt und erzählen davon. Im Festival verschaffen sich Autor:innen, Theatermacher:innen und andere Künstler:innen in Inszenierungen, Präsentationen, Lesungen und Diskussionen Gehör und verweisen mit ihren Gedanken, Fragestellungen und Geschichten auf die Wirklichkeiten, denen wir uns stellen müssen.

Festival Reloaded

Literarische Nahversorgung in schwierigen Zeiten: von Juli bis Oktober 2020 in der ganzen Steiermark

Gerade jetzt möchten Sie auf neue Dramatik nicht verzichten? Ist nicht die Frage, was junge Autor*innen über die Gegenwart und über die Zukunft denken und beobachten, jetzt interessanter denn je?

Festival Reloaded präsentiert Texte – Monologe und Ausschnitte aus Stücken von Ferdinand Schmalz, Anah Filou, Miroslava Svolikova, Nava Ebrahimi, Natascha Gangl, Claudia Tondl, Max Smirzitz und anderen. Live und nicht digital. Direkte Begegnungen mit Abstand, aber Begegnungen, ganz analog.

Im Sinne der Literarischen Nahversorgung – einem gemeinsamen Schwerpunkt mit dem Theaterland Steiermark – bleibt das DRAMA FORUM nicht in Graz und wartet auf das Publikum. Es bringt das Theater zu den Leuten, nach Radkersburg, nach Deutschlandsberg, nach Stadl an der Mur. Mit Hilfe von weiteren Partnern vor Ort (dem Theaterzentrum Deutschlandsberg, dem Griessner Stadl, Privatpersonen) wird der Beweis angetreten, dass zeitgenössischen Dramatik was zu sagen hat, dass einem was entgeht, wenn man da nicht hingeht. Am Ende führt der Weg nach Graz zurück, in die verwunschenen Gärten des Volkskundemuseums, wo man sich wie in einem Stationendrama von Ort zu Ort bewegt und so auf spannendes Theater trifft.

Terminübersicht
23. und 24. Juli 2020: Bad Radkersburg
21. und 22. August 2020: Stadl an der Mur
28. und 29. August 2020: Deutschlandsberg
10. bis 12. September 2020: Graz
3. und 4. Oktober 2020: Graz

Wir freuen uns schon auf unser Publikum, seien Sie sicher, wir sorgen gut für Sie. Wir achten darauf, dass Sie Theater genießen können ohne sich Sorgen zu machen, dass Sie für einen Moment vergessen können, wie schwierig die Zeit ist, in der wir leben.

Dear Authors, dear Colleagues, dear Audience!

The 5 th edition of the international DRAMA|TIK|ER|INNEN|FEST|IVAL Graz – which should have taken place this June under the theme of “ÜBER MORGEN” – will be postponed to June 2021. We (the uniT DRAMA FORUM and Schauspielhaus Graz) have been preparing for months and we had very much looked forward to this week, so it is not easy for us to make this statement. Of course, all independent artists and groups have been hit particularly hard by cancellations in the cultural sector, and since the government’s declaration we have been in close contact with all those who, in fact, made up the festival with their plays, texts and ideas, trying to find feasible solutions together.

This 5th anniversary festival was to be a very special edition of the international DRAMA|TIK|ER|INNEN|FEST|IVAL. We were in the process of developing cooperation projects with many institutions in Graz but also from all over Europe: with projects within the framework of the Graz Kulturjahr 2020, the international theatre conference of the European Theatre Convention, a programme featuring Flemish and Dutch authors, the participation of the network “The Fence” as well as the “Young Europe”-festival, a theatre and discourse programme for young audiences, the finale of a cooperation project between nine European member theatres of the European Theatre Convention.

We wanted to create spaces for an exchange of ideas between domestic and international authors, artists, journalists, students from schools and universities, colleagues and the audience through the means of contemporary drama. Under the motto of “ÜBER MORGEN”, we were going to talk about potentially terrible, but also desirable versions of tomorrow and about what we might do to promote some developments and prevent others. But life happened faster and the world is changing at a rapid pace. Concerns about everyone’s health are at the focus of attention now, an important issue that is making great demands on us all. The question of how we want to design our future is becoming more urgent than ever: What will we learn from this crisis? Which attitudes will gain the upper hand? Will there be upheavals or continuity in existing systems? These are all questions and issues that lend themselves to artistic analysis. And we would like to already invite you today to the next festival in June 2021 and to the activities of DRAMA FORUM and Schauspielhaus Graz this summer and autumn. Because unlike us, texts don’t have to stay at home: They will find new ways of reaching their audience!

We are making plenty of plans: Over the coming weeks, we will create a visual framework for more encounters with the authors and their works. We will begin by displaying texts – including excerpts from the cancelled festival – on text-banners: Sentences written by authors will appear in windows, spilling from private spaces into the public sphere, messages for passers-by and friends. We will welcome and collect all responses – text generating text, input generating responses, conversations in and about language, taking place beyond the internet.

In order to continue giving a stage to contemporary drama, Schauspielhaus Graz has also launched the series #neuesdramazuhause. Around two dozen authors from various countries have been commissioned with mini-dramas that will be turned into short videos by actors from our theatre and presented on the website and social media channels (Facebook and Instagram) of Schauspielhaus Graz.

In cooperation with their long-standing partner Theaterland Steiermark, DRAMA FORUM will present theatre texts by 10 authors at various locations throughout Styria. Listening installations in empty shops, monologues in open fields, staged reading in gigantic halls… all of it completely analogue.

We are looking forward to seeing you again in June 2021 – until then, we wish you all the best of health and strength!