Keinen Fisch fischt Fischer Fritz (mehr). Kan anzigen.

„Fischer Fritz“, ein zeitgenössisches Sprechstück von Raphaela Bardutzky, das im Schauspielhaus Graz am 22.06.2023 uraufgeführt wurde. Es ist geprägt von Wehmut, Schuld und höchst-gelungener Sprachkunst.

„Was soll werden, wenn nichts mehr wird?“, diese Frage stellt sich Fritz, Fischer dritter Generation, dieser nach einem Hirnschlag nicht mehr störungsfrei reden und überhaupt nicht mehr fischen kann. Er möchte heim, nicht in ein Heim, einfach nur heim. Sein Sohn Franz, verkörpert durch Sebastian Pass, organisiert eine ukrainische Pflegekraft, Uljana, gespielt von Alina Danko, für ihn. Gemeinsam stellen sie sich den Hürden des alt werdens, der Pflegekrise und der Ausbeutung des Pflegepersonals des Ostens.

Das Bühnenbild vereint Darsteller und Publikum. Die Zuschauer:innen nehmen an einem großen, ovalen Tisch Platz, der von drei Glühbirnen beleuchtet wird. Die Schauspieler bewegen sich frei im Raum und setzen sich abwechselnd zum Publikum, an den Tisch. Dies verleiht das Gefühl, im selben Boot zu sitzen und die Gefühle, wie Anspannung, Angst und Unsicherheit hautnah zu spüren. Die Überforderung der jungen Generation, Konflikte zwischen den Generationen, Hitzewelle und das Sinken der Pegelstände der Flüsse lassen nicht nur die Forellen verzweifelt nach Luft schnappen, sondern auch das Publikum. All diese privaten und ökologischen Herausforderungen werden spielerisch und mit großer Sprachkunst wiedergegeben. Es besteht ein kontinuerliches Pendel zwischen Sprache und Sprachlosigkeit. Es scheint, also ob die schwierigsten und kompliziertesten Wörter ironischerweise für die Rolle der Uljana ausgewählt wurden. Reime, Wortspiele, Dialektwörter wie „Divan“ oder „Grießnockerlsuppn“ – nichts wird vorenthalten. Große Sprechartistik, die selbst für jede deutsche Muttersprachlerin herausfordernd wäre, aber von Alina Danko großartig gemeistert wird. Der Sohn, Franz, ist charakterisiert durch sein Raunzen oder seinen humorvollen Sprachgebrauch, zum Beispiel wenn er den Herrgottswinkel als „Herrgott mit Sixpack“ beschreibt. Immer wieder schafft er es somit, das Publikum bei Laune zu halten und etwas Leichtigkeit in die Atmosphäre zu bringen. Allerdings kommt es im Gespräch zu seinem Vater immer wieder zu Kurzschlüssen. Blitzartigen Austäuschen. Die Spannung ist am Höhepunkt. Der Sprachstrom ist unruhig und schwankt, wie der Wasserspiegel am See, kurz bevor ein Unwetter auftritt. Fritz wiederum kämpft mit der Sprache, um Wörter. Er kommuniziert mit dem Publikum und den anderen Darsteller:innen, ohne wirklich viel zu sagen: seine Körpersprache und Blicke, sprechen Bände. Seine Gedanken werden oft als Audio eingespielt,  als ob man einen direkten Eiblick in seinen Kopf hätte. Ängste, Sorgen und die Befürchtung, eine Last zu sein werden spürbar nah gebracht und wiederholen sich immer wieder, wie ein Teufelskreis und mit jedem Mal wird ein noch bedrückenderes Gefühl ausgelöst. 

Alle drei Darsteller:innen leisten eine schauspielerische, sprachliche und körperliche Meisterleistung, da sie ihre Monologe sehr konkret liefern und diese mit der authentischen Körpersprache untermauern. Sie steuern eine Achterbahn voller Gefühle bei jener kaum ein Auge des Publikums trocken bleibt. Eine direkte Antwort auf die Frage, was werden soll, wenn nichts mehr wird, gibt es nicht. Aber man soll reden und zuhören. Und vor allem: sich dabei ins Gesicht schauen.

„Fischer Fritz“, ist höchste Sprachpoesie und dennoch eine tiefgründige Inszenierung von Julia Skof, die die drei Figuren trotz ihrer unterschiedlichen Lebenserfahrungen in einer ruhigen und aussagekräftigen Sprachmelodie vereint und auf ein brennendes, aktuelles Thema aufmerksam macht. 

Von Katharina Stern


Verbrannte Erde 

Das Berliner Performancekollektiv She She Pop begeisterte mit ihrem Stück „Mauern“. Es ist die gedankliche Weiterführung des Vorgängers „Schubladen“. Motto: Weg von der Vergangenheit, hin zur Zukunft. 

Die Erde war wüst, leer und es war finster (1.Mose 1,1-2). She She Pop skizziert einen düsteren Spiegel der Gegenwart. Einstige Utopien bröckeln wie die Überreste der Berliner Mauer. Genauso porös, gleichermaßen anachronistisch. Doch was ist nur aus unseren kühnen Träumen und unbeirrten Hoffnungen geworden?

Sebastian Bark, Annett Gröschner, Lisa Lucassen, Mieke Matzke und Peggy Mädler sowie zwei digital zugeschaltete Darstellerinnen werfen den Blick in eine mögliche Zukunft. Ausgangspunkt ist eine Bühne, gesäumt von chaotisch durcheinander geworfenen Bücherstapeln. Alle Titel sollen rigoros in brauchbar und unbrauchbar kategorisiert werden. Doch welche Themen haben noch Relevanz für ein visionäres Morgen? Eine Entsagung alter Ideologien und verstaubter Biografien. Die DarstellerInnen gehen der Aufgabe im natürlichen Dialog und konfusem Miteinander nach. Dabei werden immer wieder neue Umgangsregeln für das Kollektiv aufgestellt. Diese hyperpädagogischen Kommunikationsweisen stehen im Kontrast zu dem tiefgründigen Intellekt der Diskussion und erregen einige Publikumslacher. Schnell wird klar: Wir schreiben noch in Büchern, die wir längst weglegen wollten. Klimawandel, der Kollektivismus und Kriege sind allgegenwärtiger denn je. Unsere Gegenwart als gescheitertes Projekt. 

Mittels aufwendiger Lichtinstallationen wird die Bühne in eine skurrile Traumlandschaft verwandelt, die die Grenzen zwischen Materie, Zeit und Vorstellung auflöst. Es werden riesige Bilder von einsamen Orten ausgestrahlt, in die die PerformerInnen eintauchen. In diesem Portal wandeln sie zwischen den Dimensionen und lassen die Grenzen der Wirklichkeit verschwimmen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als verworrenes Labyrinth. Doch wo stehen wir jetzt? Die Grafiken sind in mehrere Ebenen geschichtet, durch die die SchauspielerInnen orientierungslos wandeln. Keine Richtung, kein Entkommen. Abgestimmte, grelle Lichteffekte und eine durch Tücher geschichtete Bühne erzeugen ein visuelles Meisterwerk. Eine optimal durchdachte Gestaltung schafft eine irisierende Illusion, die einen einzigartigen Theaterbesuch garantiert. 

Doch eine Tatsache kristallisiert sich unumgänglich aus dem Chaos: unsere Zukunft liegt brach wie verbrauchter Ackergrund. Diese düstere Verheißung löst ein andauerndes Gefühl der Beklommenheit aus. She She Pop inszeniert eine tiefgreifende Metakritik durch einen natürlichen und vollkommen authentischen Einsatz der SchauspielerInnen. Diese Nahbarkeit erlaubt kein Verstecken. Wir alle sind Adressaten des Tadels. Eine bittere Pille im Abgang, die gekonnt den eigenen Kern trifft.

Das Stück endet in einer ideologischen Zuspitzung als Wegweiser für eine Revolution. Euphorisierend wird eine Utopie als Ausweg aus dem Dilemma gezeichnet. Erleichtertes Aufatmen. Verbrannte Erde kann man kompostieren.

Von Christina Bösel

(c) Dorothea Tuch

Wie die Weltreligionen miteinander verstrickt sind

The Knitting Pilgrim ist ein Ein-Personen-Stück mit dem kanadischen Schauspieler und Textilkünstler Kirk Dunn, welches am Theater am Lend zu sehen war. 

„Strick einfach weiter“, so lautet Kirks Motto, um sein Projekt „Stitched Glass“ zu vollenden. Im Mittelpunkt seiner persönlichen Erzählung stehen drei gestrickte Wandteppiche, welche die drei abrahamischen Religionen – das Judentum, Christentum und den Islam mit ihren positiven und negativen Aspekten darstellen. Aber wie kann ein Mann jene drei Kulturen mit Wolle und Stricknadeln verknüpfen?

Das Stück beginnt zunächst damit, dass jeder dazu eingeladen ist, Wolle und Nadeln aus den Körben, die auf der Bühne platziert sind, zu nehmen und zu stricken. Außerdem gibt es eine „Knit Cam“ für Anfänger, mit jener Kirk zeigt, wie man überhaupt beginnt. Nach einer kurzen Vorstellung, erzählt er von seiner fünfzehnjährigen künstlerischen und spirituellen Reise, bei der er drei Teppiche handgestrickt hat. Diese sollen die Frage, warum Menschen der abrahamischen Religionen nicht miteinander auskommen, beantworten. Es gibt immer wieder kurze Pausen, in jenen er mit Hilfe der „Knit Cam“ zeigt, wie man rechts und links verstrickt oder abkettet.

Das Bühnenbild ist simpel: drei Leinwände, auf jene Bilder und deutsche Untertitel projiziert werden, ein Stuhl, Wolle und Stricknadeln. Mit seiner charmanten und lustigen Art zieht Kirk das Publikum in seinen Bann und das interaktive Stricken löst eine angenehme, ruhige Atmosphäre aus, die passend ist, um ein kontroverses Thema wie Religion zu betrachten. Vorurteile werden aufgedeckt und besprochen, Klischees erklärt und entlarvt und Gemeinsamkeiten hervorgehoben. Kern sind alle drei Religionen verwoben und ziehen an einem Faden. Es wäre besonders interessant gewesen, noch tiefer in die Gemeinsamkeiten einzutauchen. Auch wäre es vom Vorteil gewesen, einige Details und Witze in seinen Erzählungen zu kürzen, um präziser und schneller zum essenziellen Teil seiner Aussage zu kommen. Die Spannung wird oft aufgebaut, die Antizipation des Höhepunktes ist fühlbar. Oft kommt es nicht dazu, da der Akt des Strickens sowie Themenwechsel die Spannung unterbrechen. 

Das Ende kam leider abrupt, denn es endet mit der Fertigstellung seiner Wandteppiche. Wortwörtlich. Auf einer Seite ist man erleichtert, dass Kirk es geschafft hat, sein Projekt fertigzustellen, auf der anderen Seite brennen Fragen unter den Fingernägeln: Wie geht es weiter? Welchen Impakt hat dieses Projekt geleistet? Diese bleiben der Selbstinterpretion offen oder man fragt Kirk selbst danach, während man die Möglichkeit hat, die Kunstwerke in echt auf der Bühne zu betrachten und mit Kirk zu reden.

Fazit: Eine interessante Möglichkeit, Vorurteile aufzudecken, über die drei größten Religionen zu lernen und jene mit Nadeln und Wolle nicht nur als Wandteppich aber auch in der Gesellschaft zu verstricken. Ein Theaterstück für all jene, die eine Aufklärung über Religionen und Stricken brauchen – und wie man jene, wie Kirk, erfolgreich vereint.

Von Katharina Stern

Nature is healing

„Delphine in Triest“: In einem satirischen Fleckerlteppich an Kurzepisoden werden im Theater am Lend Themen wie die Coronakrise, Konsumgesellschaft und Rassismus verarbeitet.

Über die Leinwand wird der nächste Teil des Abendprogramms eingeblendet: Kurzszene nach Kurzszene, alle je unter ein Thema, ein Genre gesetzt, verschmelzen ineinander wie die Worte, die erst am Ende kohärent zu werden scheinen. „Vor dem Schirm sind wir alle gleich, vor dem Rettungsschirm nicht.“ Der Text von Effe U Knust führt einen vom Schicksal des Einzelnen zur ganzen Welt und wieder zurück. Wie das 5$-Shirt, das nach 30.000 zurückgelegten Kilometern als Baumwolle aus Virginia just wieder dort verkauft wird. Oder wenn die Angst vor dem Ende des Klopapiers zwischen dem „soundsovielten Quarantänetag“ verschwimmt, während die Delphine nach Venedig zurückkehren. Mal humorvoll, mal ernster, aber immer gesellschaftskritisch führen Clara Diemling, Naemi Latzer und Anna Morawetz (diesmal übersprochen von Regisseurin Anja M. Wohlfahrt) durch das dadaistische Labyrinth von popkulturellen Referenzen, Plattitüden und Sprichwörtern. Mit der musikalischen Begleitung von Patrick Dunst und Grilli Pollheimer formen sie auf der Bühne ein Konglomerat an Figuren und Konzepten, spielen sich die Worte zu bis sie zu einem harmonischen Gleichklang werden. Morawetz konnte sich trotz ihrer fehlenden Stimme durch Gestik und Mimik neben ihren Kolleginnen behaupten, sodass die spontane Änderung, fast als humorvoller Kniff verstanden werden konnte. Tanzend und fesselnd nahmen alle drei die Bühne mit ihrer Präsenz ein und ließen doch den zwei am Rande platzierten Musikern genug Raum für ihre Darbietung. Mit aufgeklebten Rückenflossen schwimmen sie durch ein blaues Lichtermeer, „Sie wissen was ich meine.“ Wenn die Lettern einer Schreibmaschine einen anprangern oder die Schauspielerinnen einen mit festem Blick mit der traurigen Ironie des Lebens konfrontieren, formt sich schmunzelnd eine Sorgenfalte mehr im Gesicht. „Ich hatte mir die Apokalypse immer anders vorgestellt.“  Zitat Ende.

Von Yasmin Al-Yazdi

FINSTERGEWÄCHS- DAS VERSTEHEN EINES FIEBERTRAUMS

Träume. Die Ebene, das unzählige Male erforscht wurde und sich dennoch immer wieder dem vollständigen Verständnis entzieht. Aber es dreht sich nicht nur um diese Ebene, sondern auch ihre Bühne: die Finsternis. Es ist der Ort, an dem alle Grenzen aufgehoben sind, wo die Verworrenheit an oberster Stelle steht. Doch sollten wir uns vor dem Unbekannten fürchten oder lernen, es zu
erforschen?

Mit dieser Denkweise wechseln das Objekttheaterkollektiv Spitzwegerich und Natascha Gangl in ihrem neusten Projekt „Finstergewächs“ vom Fassbaren ins Abstrakte. Voller provokativer Auslöser fokussiert sich das Stück nur auf eines: ein einzigartiges und faszinierendes Erlebnis. Von Fragen, die Paranoia hervorrufen, surrealer Verwendung von Schädeln und Augäpfeln bis hin zu
bewusstseinsverändernden Klanglandschaften bietet das Stück die Möglichkeit, sich den Klängen, den Gedanken und Visualisierungen zu stellen, die unsere Urangst vor Finsternis und dem verbundenen Kontrollverlust in Frage stellen.
Diese faszinierende Dias durch Irrationalität werden von Natascha Gangl, Birgit Kellner, Maja Osojnik und Manfred Engelmayr gekonnt angeleitet, während sie sich mit dem von ihnen dargestellten Fiebertraum verwandeln. Insbesondere sind es Kellners Illustrationen und Osojniks Stimme, die beim Publikum Verwirrung und Unruhe hervorrufen und ihre Sinne auf die Probe stellen.
Dies wird noch verstärkt durch das Bühnen- und Lichtdesign, durch das Christian Schlechter und Felix Huber die Performer mit der Bühne verschmelzen lassen, was ihnen die Freiheit gibt, nahezu alterslos zu sein. Der beengte Raum und die große Menge an Requisiten, die auf der Bühne zu sehen
sind, verengen den Fokus des Publikums und wecken ein interessantes, aber nachvollziehbares Unbehagen. Diese üppigen visuellen Elemente machen das Stück unvergesslich, allerdings auf Kosten einer intimeren Erforschung des gewählten Themas, die die hörbaren Elemente alleine erreicht
hätten. Das Stück reicht tief in das Unerwartete und hinterfragt eine Verbindung zwischen der Vergangenheit eines Tages und der unbekannten Zukunft eines anderen, während die Bühne langsam wieder in die Finsternis übergeht, wo eine andere Verbindung neu beginnen kann. Obwohl bestimmte Elemente davon selbst verborgen sein sollten, bietet das Stück dennoch ein unvergessliches Abenteuer durch die Verbündeten des menschlichen Geistes, wenn es mit etwas Unbekanntem konfrontiert wird.

Milan Vidovic

(c) Wolfgang Rappel

SCHIRM- EINE FLUCHT AUS DER REALITÄT

Ein Wesen, das nach Leben sucht. Ein Chor, der ein Gebet singt. Eine
abgenutzte Routine, die zu schmerzhaft ist, um sich zu ändern. Ist da
genug Platz unter diesen Schirmen oder brauchen wir neue? Was braucht
man, um sie zu finden?
Dies sind nur einige der Bilder, die der Dichter Fatah Farzam in seinem
neusten Theaterstück „Schirm“ verdeutlicht und thematisiert. Der Untertitel
„Eine performative Installation mit Lyrik“ scheint dem Stück durchaus
angemessen, da er auf die Kraft und interpretatorische Freiheit hinweist,
die sich aus der Kombination mehrerer Künste und ihrer gegenseitigen
Ergänzung ergibt. In der Tat ist dies ein ziemlich notwendiger Ansatz, wenn
man die komplexen Emotionen berücksichtigt, die jemandem durch den
Kopf gehen können, wenn sie eine ähnliche Erfahrung durchmachen, wie
die, die in diesem Stück dargestellt wird. Es ist die private, verborgene
Qual, die nicht jeder auf die gleiche Weise erlebt hat, aber in jedem Leben
einmal erlebt werden muss.
In diesem Fall ist es die fesselnde Darbietung von Xianghui Zeng, die es
dem Zuschauer ermöglicht, die volle Tiefe der sorgfältig ausgewählten
Zeilen aus Farzams Gedichten zu erleben. Seine Choreographie bringt das
Spektrum der Emotionen heraus, die mit Flucht, Isolation, Bedrohung
verbunden sind, alle zentrale Themen in Farzams Dichtung.
Sein explosiver, aber aufrichtiger Tanz wird hervorragend durch das
Raumdesign und die Requisitenauswahl von Anthoula Bourna ergänzt, die
bei der visuellen Darstellung von Farzams Gedichten helfen und einen
zusätzlichen Hauch von Trauer hinzufügen.
Obwohl die Regieentscheidungen in diesem Stück am Ende unklar bleiben,
muss erwähnt werden, dass Sophia Barthelmes Inszenierung ein Maß an
Bodenständigkeit und Flair hinzufügt, das es dem Publikum ermöglicht, sich
enger mit dem Thema des Stücks und seinem einzigen Darsteller zu
verbinden.
„Schirm“ ist eine bewegende Erforschung der Schirme des inneren Aufruhrs
und des Schreckens und ermöglicht es den Zuschauern, einen Blick in die
Probleme und das Leben seines Autors zu werfen, während es ihn
gleichzeitig einlädt, ihre eigenen zu erkunden, da jeder einmal im Regen
gefangen war und nicht wusste, wohin man als nächstes gehen sollte.

Milan Vidovic

(c) Wolfgang Rappel

Hoffnung auf Eskalation

Die ölgetriebene Apokalypse steht vor der Tür. Die Zeit ist knapp. Positive Veränderung nicht in Sicht. Und doch findet das Medium der Bühne einen Weg zur unterhaltsamen Eskalation.

Zwei Frauen wollen die Welt retten. Schluss mit der Luftverschmutzung, der kapitalistischen Gier und dem Klimawandel. Der Ölhahn muss zugedreht werden, bevor es zu spät ist und die Welt endgültig in ihrem Wandel verbrennt. Dies ist das Ziel. Der Schlüssel die Adria-Wien-Pipeline.

„was zündet, was brennt“ ist nicht nur ein Stück zur Aufklärung der Erderwärmung, sondern eine Aufforderung, die dem Gewissen mächtig einheizt. Doch was nach abgekauter Predigt klingt, ist vielmehr eine Komposition aus Fakten, Moral und Humor, die weder ermüdend noch langweilig ist.

Die Inszenierung von Marie Bues schafft es trotz der schwer verdaulichen Thematik, den Blick an die Szenerie zu binden. Die alufolienüberzogene Bühne, in Bildschirmkastenform (Pia Maria Mackert), die künstlerischen Videoclips (Grigory Shklyar) und bange, aber auch erheiternde Musik (Johannes Frick) strahlen alleinstehend schon eine starke Spannung aus.

Bühne und Technik schmieden ein simples, aber einprägsames Bild, das mit einer großartigen Darbietung des futuristischen Darstellerquartetts verschmelzt. Sei es Lisa Birke Balzers und Katrija Lehmanns in Sarkasmus getunkte Ernsthaftigkeit, Nico Links fesselnde Stimme oder Lukas Walchers charmante Darstellung eines Plastik-Dinos, dem die Luft ausgeht. Ein Ensemble, das einerseits hemmungslos Chips in sich reinschaufelt, anderseits durch lichtprojiziertes Öl langsam erstickt. Eine hervorvorragende Dynamik.

In einem geschickten Zusammenspiel aller Zutaten wird dem Publikum eine Realität serviert, die aktueller nicht sein könnte. Unbedachte Verschwendung von Ressourcen, steigende Spritpreise und das vorhandene Wissen über die Probleme, aber der Mangel zur eigenen Initiative. „was zündet, was brennt“ will nicht zum Nachdenken auffordern, sondern zum Handeln. Denn eine Eskalation ist unaufhaltsam, aber ihr Auslöser und Verlauf noch kontrollierbar.

Magdalena Schrefels Stück bringt das Thema schonungslos auf den Punkt, aber lässt den Zuschauer nicht voller Zweifel nach Hause gehen, sondern mit Antworten, die im Kopf bleiben und dem Antrieb der Hoffnung. Ein wichtiger Theaterabend für jeden Einzelnen.

Lisa Fuchs

Wie beschreibt man am besten dieses Gefühl?

In dem Stück „piece for drumset and powerpoint” nimmt Max Smirzitz die Zuschauenden mit auf eine Reise durch seine eigenen Gedanken. Er lässt sie das Gesprochene lesen und das Gespielte hören und stellt die Frage wie man am besten Gefühle ausdrücken kann, die vielschichtiger sind, als eine einfache Emotion. Damit beschert er den Zuschauer:innen ein intensives Erlebnis, welches durch Musik, Schlagzeug und die visuellen Eindrücke einer PowerPoint-Präsentation vermittelt wird.  

Noch bevor das Stück anfängt, werden allen Zuschauenden bei der Ticketkontrolle Oropax mit auf den Weg gegeben. Den Rat, diese zu nutzen, zu befolgen ist klug. Denn die Vorstellung wird laut. Zum Teil wird sie auch grell, aber vor allem laut. Zunächst jedoch kommt man in einen Raum, der hauptsächlich durch eine riesige Projektion des Titels durch einen Beamer auf weißen Hintergrund erleuchtet wird. Es ist nicht vorgesehen, dass man auf Stühlen sitzt, sondern am Boden. Alternativ kann man sich auch gleich hinlegen, um so dieses Stück zu erfahren. Die Präsentation ist komplett in schwarz-weiß gehalten und zeigt einen Text, den der Künstler selbst im Ich-Erzähler Stil geschrieben hat. Sie erhält ihre Dynamik vom Tempo des Schlagzeugs und mal wird dem Text Zeit gelassen, Silbe für Silbe auf der Leinwand einzutrudeln bis die komplette Bildfläche voll ist, mal aber rauschen die Worte auch einzeln mit einer so hohen Geschwindigkeit vorüber, dass man sich kaum sicher sein kann, was man gerade gelesen hat. Man sollte sicher sein in der englischen Sprache, um bei diesem Tempo mitlesen zu können und wird dadurch dann mit sprunghaften Gedanken konfrontiert. Es wirkt als hätte der Künstler auf der Suche nach einer adäquaten Beschreibung eines komplexen Gefühls alles aufgeschrieben was ihm in den Kopf gegangen ist, ganz ohne Filter. Das macht das Mitlesen zum Teil etwas anstrengend und streckenweise überfordernd. Aber dadurch wird es auch unmöglich gemacht sich dem Stück zu entziehen. Für die Gedanken auf der Präsentation, wird sich in Form von Gesprochenen Audio-Aufnahmen und Zitaten, aber auch immer wieder Input geholt. Begleitet wird dies vom Künstler am Schlagzeug, wobei die Beats zum Teil perfekt mit dem Erscheinen der Silben übereinstimmen, oder aber eine Dissonanz erzeugen. Dann scheint es nicht so als würde das Schlagzeug die Präsentation halten, sondern als würde es mit ihr kommunizieren. Man wird in diesem Stück eingeladen und begleitet in den Kopf des Künstlers, dessen Gedanken manchmal rasen und manchmal still stehen, auf der Suche nach der perfekten ausdruckweise für Gefühl, dass sich durch Worte nicht recht beschreiben, sich aber durch die Musik fühlen lässt. Es bleibt zwar individuell ob und in welcher Musik man sich selbst wiederfindet, aber sich auf diese intensive und intime Suche des Künstlers einzulassen ist ohnehin eine bereichernde Erfahrung.

Aiga Alrun Adler

(c) Wolfgang Rappel

Schonungsloser Weltschmerz und ein Funken Hoffnung

Utopie oder bald Realität – die deutschsprachige Erstaufführung von Hirschfell (Hertenleer) im Theater am Lend (Regie: Sandra Schüddekopf) zeichnet das unter die Haut gehende Bild einer postapokalyptischen Welt. Mehr als nur ein Monolog.

Ein modriger Waldgeruch durchflutet den Saal, passend zu den Holzspänen und Baumstümpfen auf der Bühne, ein feuchter Dampf liegt in der Luft. Was dem Publikum hier dargeboten wird, ist Weltschmerz mit allen Sinnen. Rot aufflackerndes Licht, durch das Publikum wandernde Geräusche und Umgestaltungen im Bühnenbild sind genau aufeinander abgestimmt, wenn Nataya Sam als einzige Schauspielende verschiedene durch globale Erwärmung verursachte Zukunftsszenarien für ihr ungeborenes Kind entwirft. So spricht sie in ihren Bauch hinein und gleichzeitig zum Publikum in der Du-Form: vom nackten Überleben im Wald, dessen matschiger Boden kein Leben mehr birgt, von Fluchterfahrungen an hohen Mauern, und auch von einer Schifffahrt zu einer lebenswerteren Welt. Unklar bleibt, welches der beklemmend realistisch dargestellten Szenarien eintreten wird. Hier kämpft das schwangere Ich für eine Zukunft, in der es sich für ihr Kind noch zu leben lohnt.

Nataya Sam erweckt den ohnehin schon bildreichen Text von Anna Carlier (aus dem Niederländischen von Christine Bais) durch bemerkenswertes Schauspiel zum Leben. Ihre künstlerische Darbietung umfasst weit mehr als nur das Vortragen des Monologs – es werden Rückwärtsrollen gemacht, Holzscheite gehackt und Wände besprüht; alles souverän inmitten des Textes, der in- oder außerhalb eines schlichten Glaskastens gesprochen wird. Sams Bewegungen weisen ein Spektrum von elegant und tänzerisch, bis hin zu fast wutentbrannt auf und schmiegen sich immer an den gerade präsenten Inhalt sowie ihren mimischen Ausdruck.

Was im wunderbaren Zusammenspiel von Licht (Nina Ortner), Sound (Rupert Derschmidt) und szenischer Ausstattung (Lisa Horvath) als utopische Zukunftsvision auf die Bühne gebracht wird, behandelt das omnipräsente Thema Klimakrise sowie daraus entstehende Migration. Berührend dargestellt wird eine geballte Ladung an schaurigen Bildern, aber auch ein Funken liebevoller Hoffnung einer Mutter für ihr ungeborenes Kind. Alles wird gut werden, Sweetheart. Ob das Publikum diesem Funken nach all den Katastrophenszenarien noch viel Bedeutung beimisst, sei dahingestellt. Mit Sicherheit kann man aber von einer auf allen Ebenen gelungenen Aufführung sprechen.

Lena Gruber

(c) Wolfgang Rappel