Schonungsloser Weltschmerz und ein Funken Hoffnung

Utopie oder bald Realität – die deutschsprachige Erstaufführung von Hirschfell (Hertenleer) im Theater am Lend (Regie: Sandra Schüddekopf) zeichnet das unter die Haut gehende Bild einer postapokalyptischen Welt. Mehr als nur ein Monolog.

Ein modriger Waldgeruch durchflutet den Saal, passend zu den Holzspänen und Baumstümpfen auf der Bühne, ein feuchter Dampf liegt in der Luft. Was dem Publikum hier dargeboten wird, ist Weltschmerz mit allen Sinnen. Rot aufflackerndes Licht, durch das Publikum wandernde Geräusche und Umgestaltungen im Bühnenbild sind genau aufeinander abgestimmt, wenn Nataya Sam als einzige Schauspielende verschiedene durch globale Erwärmung verursachte Zukunftsszenarien für ihr ungeborenes Kind entwirft. So spricht sie in ihren Bauch hinein und gleichzeitig zum Publikum in der Du-Form: vom nackten Überleben im Wald, dessen matschiger Boden kein Leben mehr birgt, von Fluchterfahrungen an hohen Mauern, und auch von einer Schifffahrt zu einer lebenswerteren Welt. Unklar bleibt, welches der beklemmend realistisch dargestellten Szenarien eintreten wird. Hier kämpft das schwangere Ich für eine Zukunft, in der es sich für ihr Kind noch zu leben lohnt.

Nataya Sam erweckt den ohnehin schon bildreichen Text von Anna Carlier (aus dem Niederländischen von Christine Bais) durch bemerkenswertes Schauspiel zum Leben. Ihre künstlerische Darbietung umfasst weit mehr als nur das Vortragen des Monologs – es werden Rückwärtsrollen gemacht, Holzscheite gehackt und Wände besprüht; alles souverän inmitten des Textes, der in- oder außerhalb eines schlichten Glaskastens gesprochen wird. Sams Bewegungen weisen ein Spektrum von elegant und tänzerisch, bis hin zu fast wutentbrannt auf und schmiegen sich immer an den gerade präsenten Inhalt sowie ihren mimischen Ausdruck.

Was im wunderbaren Zusammenspiel von Licht (Nina Ortner), Sound (Rupert Derschmidt) und szenischer Ausstattung (Lisa Horvath) als utopische Zukunftsvision auf die Bühne gebracht wird, behandelt das omnipräsente Thema Klimakrise sowie daraus entstehende Migration. Berührend dargestellt wird eine geballte Ladung an schaurigen Bildern, aber auch ein Funken liebevoller Hoffnung einer Mutter für ihr ungeborenes Kind. Alles wird gut werden, Sweetheart. Ob das Publikum diesem Funken nach all den Katastrophenszenarien noch viel Bedeutung beimisst, sei dahingestellt. Mit Sicherheit kann man aber von einer auf allen Ebenen gelungenen Aufführung sprechen.

Lena Gruber

(c) Wolfgang Rappel

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