Das Berliner Performancekollektiv She She Pop begeisterte mit ihrem Stück „Mauern“. Es ist die gedankliche Weiterführung des Vorgängers „Schubladen“. Motto: Weg von der Vergangenheit, hin zur Zukunft.
Die Erde war wüst, leer und es war finster (1.Mose 1,1-2). She She Pop skizziert einen düsteren Spiegel der Gegenwart. Einstige Utopien bröckeln wie die Überreste der Berliner Mauer. Genauso porös, gleichermaßen anachronistisch. Doch was ist nur aus unseren kühnen Träumen und unbeirrten Hoffnungen geworden?
Sebastian Bark, Annett Gröschner, Lisa Lucassen, Mieke Matzke und Peggy Mädler sowie zwei digital zugeschaltete Darstellerinnen werfen den Blick in eine mögliche Zukunft. Ausgangspunkt ist eine Bühne, gesäumt von chaotisch durcheinander geworfenen Bücherstapeln. Alle Titel sollen rigoros in brauchbar und unbrauchbar kategorisiert werden. Doch welche Themen haben noch Relevanz für ein visionäres Morgen? Eine Entsagung alter Ideologien und verstaubter Biografien. Die DarstellerInnen gehen der Aufgabe im natürlichen Dialog und konfusem Miteinander nach. Dabei werden immer wieder neue Umgangsregeln für das Kollektiv aufgestellt. Diese hyperpädagogischen Kommunikationsweisen stehen im Kontrast zu dem tiefgründigen Intellekt der Diskussion und erregen einige Publikumslacher. Schnell wird klar: Wir schreiben noch in Büchern, die wir längst weglegen wollten. Klimawandel, der Kollektivismus und Kriege sind allgegenwärtiger denn je. Unsere Gegenwart als gescheitertes Projekt.
Mittels aufwendiger Lichtinstallationen wird die Bühne in eine skurrile Traumlandschaft verwandelt, die die Grenzen zwischen Materie, Zeit und Vorstellung auflöst. Es werden riesige Bilder von einsamen Orten ausgestrahlt, in die die PerformerInnen eintauchen. In diesem Portal wandeln sie zwischen den Dimensionen und lassen die Grenzen der Wirklichkeit verschwimmen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als verworrenes Labyrinth. Doch wo stehen wir jetzt? Die Grafiken sind in mehrere Ebenen geschichtet, durch die die SchauspielerInnen orientierungslos wandeln. Keine Richtung, kein Entkommen. Abgestimmte, grelle Lichteffekte und eine durch Tücher geschichtete Bühne erzeugen ein visuelles Meisterwerk. Eine optimal durchdachte Gestaltung schafft eine irisierende Illusion, die einen einzigartigen Theaterbesuch garantiert.
Doch eine Tatsache kristallisiert sich unumgänglich aus dem Chaos: unsere Zukunft liegt brach wie verbrauchter Ackergrund. Diese düstere Verheißung löst ein andauerndes Gefühl der Beklommenheit aus. She She Pop inszeniert eine tiefgreifende Metakritik durch einen natürlichen und vollkommen authentischen Einsatz der SchauspielerInnen. Diese Nahbarkeit erlaubt kein Verstecken. Wir alle sind Adressaten des Tadels. Eine bittere Pille im Abgang, die gekonnt den eigenen Kern trifft.
Das Stück endet in einer ideologischen Zuspitzung als Wegweiser für eine Revolution. Euphorisierend wird eine Utopie als Ausweg aus dem Dilemma gezeichnet. Erleichtertes Aufatmen. Verbrannte Erde kann man kompostieren.
Von Christina Bösel