Die Sichtbarkeit und die alternde Frau: Penelope Skinners „Linda“ in Graz
Es gibt kaum Frauenmonologe bei Shakespeare. Das stellt Bridget fest; das zeigt ein Blick in die Klassiker. Und wo Raum ist für junge Frauen, da bleibt keiner für alternde, da werden diese unsichtbar gemacht. Das Stück „Linda“ möchte das ändern, die Figur Linda (Beatrix Doderer) möchte das auch, aber ohne Shakespeare-Kritik.
Sie ist stolz darauf, attraktiv zu sein und erfolgreich, als Mutter und Marketingmanagerin für Kosmetika.
Sie möchte die Welt verbessern, indem die Werbung Frauen ermutigt, sich nicht unsichtbar machen zu lassen.
Sie selbst ist davon aber ohnehin nicht bedroht.
Das ändert sich, als ihr Mann (Franz Solar) mit einer Jüngeren (Natalja Joselewitsch) schläft, ihre Kampagne vom Chef (Franz Xaver Zach) abgelehnt wird und die junge Kollegin Amy (Sarah Sophie Meyer) übernimmt. Die Sicherheit bröckelt.
Linda bleibt nicht in einem Rollentyp gefangen, weder der netten Alten noch der Hexe, sie erregt Mitgefühl und darf wütend machen, wenn sie die psychischen Probleme ihrer älteren Tochter Alice (Daria von Loewenich) klein redet und Bridget (Iman Tekele), die jüngere, quasi ignoriert. Beiden erklärt sie nur, wie „hübsch“ sie sind. Und klammert sich fest an ihrer eigenen Erzählung vom perfekten Leben.Dabei spricht sie in einem ihrer Vorträge selbst vom „Körperimage-Faschismus“ der ihre Töchter bedrohe — und der sie selbst zu bedrohen scheint, wenn sie geradezu wahnhaft ihre Figur beschreibt.
Dass die Frauen sich in ihren Sorgen nicht gegenseitig unterstützen sondern aneinander vorbei- oder gegeneinander anreden, ist die bittere Ironie der Handlung; gemeinsam könnten sie leicht die wenig bedrohlichen Männerfiguren übertrumpfen. So aber wird keine davor geschützt, angreifbar zu sein, als Frau, als sexuell aktive Frau, als Frau mit Träumen.
Das Ensemble spielt auf durchwegs sehr hohem Niveau, neben Doderer gerade auch die Töchter. Sie alle schaffen das auch, wenn im Text ein Klischee das andere jagt. Die betrogene Frau putzt und sortiert Kleider, der Frust-Sex als junger Mitarbeiter Luke (Lukas Walcher) steht bereit und der Ehemann will Rocker werden. Doch die Lacher können nicht verdecken, wie tiefgreifend das Thema ist. Das sind die stärksten Momente des Abends: wenn die Figuren aus sich selbst und der Text aus der Komödienform ausbrechen, präzise und berührend von Dominique Schnizer inszeniert. Alle Frauen verzweifeln irgendwann an ihrer Situation, Lindas zweiter Vortrag ist besonders beklemmend. Dank jener Szenen bleibt das unschöne Wissen: so ist es oft. So darf es nicht bleiben.
Die weiße Drehbühne (Christin Treunert) in 7 Räumen bildet dabei die ganze Lebenswelt Lindas ab, während die „Stoned Rollings“ musikalisch untermalen (Joselewitsch, Garry Landschbauer, Bernhard Neumaier). Am Ende hat es keine der Frauen geschafft, sich wirklich zu entwickeln, auszubrechen, etwas zu verbessern. Statt der Komödie des Abends bleibt die Tragödie der echten Welt.
Bettina Bolliger